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Tiefschlag für die "Reformer"

Was jetzt in Dithmarschen?

Das Urteil aus Greifswald unterstützt unseren Dithmarscher Standpunkt zur Kieler Gebietsreform in allen Kernaussagen.

Besonders deutlich wird das im Urteilstext bei den Ausführungen zu Kreisgröße und Ehrenamt. Die Greifswalder Richter führen völlig zutreffend aus, daß die schiere Größe der Kreise einen ehrenamtlichen Kreistagsabgeordneten praktisch unmöglich machen wird.

Vergleichen wir die verfassungswidrige Größe der Gebietsreform-Kreise in Mecklenburg-Vorpommern mit den Absichten unserer Landesregierung, so ist völlig klar:
Auch die geplanten Großkreise in Schleswig-Holstein sind verfassungwidrig. Sie entsprechen im Zuschnitt der mittleren Größe eines neuen Kreises in Mecklenburg-Vorpommern oder sind sogar größer.

Ein einfacher Blick auf die Grafik zeigt, daß jeder der schleswig-holsteinischen Großkreise deutlich flächengrößer werden soll als das gesamte Saarland (2.570 qkm) und ihre Bevölkerungszahl in drei von vier Fällen größer sein  wird als die von Bremen (680.000 Einwohner). Beides sind eigene Bundesländer mit hochdotierten Landtagen und eigener Landesregierung.

Bei diesen Größenordnungen soll der ehrenamtliche Kreistagsabgeordnete und die kommunale Selbstverwaltung weiter arbeiten können?

Machen wir uns nichts vor, hier sollen keine Kreise, sondern neue Regierungsbezirke mit Regierungspräsidien geschaffen werden. Von Selbstverwaltung kann dabei keine Rede mehr sein, Innenminister Stegner wird das Land beherrschen.

Das Greifswalder Landesverfassungsgericht hat klar gezeigt, daß bei Überschreitung von bestimmten Entfernungen in der Kommunalpolitik vom Ehrenamt keine Rede mehr sein kann. Ein Blick auf die Karte der Kieler Pläne zeigt, daß Kreistagsabgeordnete aus Sylt künftig auch für Gelting zuständig sein sollen, die aus Lauenburg für Petersdorf auf Fehmarn und Dithmarscher Abgeordnete aus Lunden auch für Schulfragen in Wedel bei Hamburg. Das ist beim Zustand unseres öffentlichen Nahverkehrs einfach unmöglich.

Deutlicher kann die Vernachlässigung der ehrenamtlichen Kommunalpolitik durch die schwarz-rote Landesregierung nicht gezeigt werden. Aber durch das Urteil aus Greifswald wissen wir - wir können uns dagegen wehren!

Für uns ist damit klar, daß auf der politischen Ebene nach Greifswald die Diskusssion über eine Verwaltungsreform völlig neu begonnen werden muß. Wir als Dithmarscher Grüne werden dabei in unserer Partei auch auf Landesebene weiter den Standpunkt vertreten, den wir seit Beginn der Diskussion über die Gebietsreform unverändert vertreten haben:

Dithmarschen muß Dithmarschen bleiben!

 

Auswirkungen auf Schleswig-Holstein

Wer sich schon etwas länger mit der Geschichte der Gebietsreform in Schleswig-Holstein befaßt hat, blickt in das Urteil aus Greifswald wie in einen Spiegel. Alle von Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern gerügten Fehler, die zur Verfassungswidrigkeit des dortigen Gesetzes über die Gebietsreform geführt haben, lassen sich hier wiederfinden:
- der Kardinalfehler, erst die neuen Großkreise festzulegen und danach einen Aufgabenkatalog zu basteln, der diese willkürliche Festlegung rechtfertigen soll.
- die absolute Einengung auf das Großkreismodell (auch hier Regionalkreise genannt) der Landesregierung, die jeden anderen Denkansatz insbesondere in der Gesetzgebung ausschließt. Sicher, jeder durfte zu seinen Buntstiften greifen und neue Großkreise malen.

Ein paar Beispiele:

- Das IHK-Kiel Modell
Drei Großkreise entsprechend den wirtschaftlichen Entwicklungsachsen des Landes.

- Das Modell Hamburger Abendblatt
Vier Großkreise, dem Kieler IHK-Modell angelehnt.

- Das Grüne Modell
Vier Großkreise, dieses Modell wird später von der Großen Koalition in Kiel fast unverändert übernommen

- Die Variante Plöger
Modell des Landrats von Stormarn mit fünf Großkreisen

- Das Modell der IHK Schleswig
Vier Großkreise

Diese Aufzählung ist bestimmt nicht vollzählig, aber sie zeigt klar, daß das Großkreismodell als allein seligmachende Lösung das politische Denken auf Landesebene beherrscht.

- Die nachträgliche Beschäftigung von Gutachtern, die das schönrechnen sollen, was politisch durch die Landesregierung in Kiel schon längst vorgeben ist. Prof. Seitz, vom Verfassungsgericht M-V mehr als abqualifiziert, soll hier der Stargutachter der Landesregierung Schleswig-Holstein werden.

- Die Dialog-Unfähighkeit der Kieler Landesregierung gegenüber den eigenen kommunalen Spitzenverbänden, deren berechtigte Warnungen jetzt vom Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern nachdrücklich verfassungsrechtlich untermauert worden sind.

Da praktisch alle Fehler, die zur Verfassungswidrigkeit des Gesetzes in Mecklenburg-Vorpommern geführt haben, hier in Schleswig-Holstein schon gemacht worden sind, dürfte jeder Entwurf für eine Gebietsreform in Schleswig-Holstein, der den jetzigen Entwürfen der Landesregierung auch nur ähnlich sieht, kaum Aussichten auf Erfolg haben.

Selbst wenn die schwarz-rote Koalition in Kiel ein Gesetz auf den Weg bringen kann, wir dürfen sicher sein, daß seine erste Station beim Verfassungsgericht ist.

Und hier können wir dank der Arbeit der Greifswalder Richter
optimistisch sein.

 

Zusammenfassung des M-V Urteils


Bevor wir uns mit dem Urteil des Landesverfassungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern (künftig als M-V abgekürzt) über die Gebietsreform befassen können, kurz ein paar Angaben zur dortigen Gebietsreform.

Vorgeschichte
Der Landtag M-V hatte im Jahre 2006 einen Entwurf der Landesregierung als Gesetz beschlossen, demzufolge einen Tag vor den Neuwahlen für die Kreistage im Jahre 2009 die zwölf vorhandenen Landkreise aufgelöst werden sollten. Aus ihnen sollten fünf neue Kreise gebildet werden, die sechs kreisfreien Städte in MV sollten in sie eingegliedert werden. Dabei sollten die Städte ihre Kreisfreiheit einbüßen.

Die Ziele der Kreisgebietsreform in Mecklenburg-Vorpommern
Als Ziele der in Stufen bis zur Kommunalwahl 2009 umzusetzenden Verwaltungsreform wurden von der Landesregierung M-V herausgestellt:

- Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung, insbesondere der kommunalen Mandatsträger und Kreistage, Stadt- und Gemeindevertretungen, sowie Förderung der Chancen der bürgerschaftlichen Mitwirkung und des bürgerschaftlichen Engagements.

- Steigerung der Leistungsfähigkeit der Verwaltung mit effizienter Behördenstruktur und Verminderung der Kosten öffentlicher Dienstleistungen.

- Schaffung möglichst transparenter, einfacher Verwaltungsstrukturen mit klarer Zuordnung von Kompetenz und administrativer sowie politischer Verantwortung.

- Abbau bürokratischer Hemmnisse durch Deregulierung und Aufgabenkritik.
 
- Verbesserung der Bürgernähe möglichst aller Dienstleistungen des öffentlichen Sektors durch Vereinfachung und Verkürzung der Entscheidungsstrukturen.
(Siehe Seite 12 des Urteils, weitere Zitate aus dem Urteil erfolgen im folgenden Text nur mit Seitenangaben in Klammern)


Der neue Zuschnitt der Kreise in Mecklenburg-Vorpommern
Nach den im Gesetzgebungsverfahren verwendeten Daten weisen die neuen Kreise die folgenden Flächen und Einwohnerzahlen (Stand 30.06.2004) auf:

- Westmecklenburg 6.997 qkm mit 498.372 Einwohnern;

- Mittleres Mecklenburg-Rostock 3.601 qkm mit 425.562 Einwohnern;

- Mecklenburgische Seenplatte 5.809 qkm mit 311.764 Einwohnern;

- Nordvorpommern-Rügen 3.182 qkm mit 246.214 Einwohnern;

- Südvorpommern 3.584 qkm mit 244.092 Einwohnern.

Das Land Mecklenburg-Vorpommern umfasst 23.173 qkm mit 1.726.004 Einwohnern.

Zum Vergleich dazu eine Übersicht über die beabsichtigte Gebietsreform in Schleswig-Holstein. 

Das Land M-V rechnete mit 180 Millionen Euro Einsparungen im Jahr durch diese Gebietsreform, wobei reformbedingte Mehrkosten von den Kreisen zu tragen gewesen wären.

Der Prozeß in Greifswald

Gegen das Gebietsreformgesetz legten elf von zwölf Landkreisen in M-V beim Landesverfassungsgericht in Greifswald Verfassungsbeschwerde ein, gleichzeitig klagten vierundzwanzig Landtagsabgeordnete auf Normenkontrolle.

Beklagte waren das Land M-V, vertreten durch Landtag und Landesregierung. Das Landesverfassungsgericht entschied mit Urteil vom 26. Juli 2007 (AZ9/06-17/06) mit sechs Richterstimmen gegen eine auf 70 Seiten, daß das vorliegende Gesetz in seinen den Gebietsreform betreffenden Paragraphen verfassungswidrig ist. Alle damit verknüpften Rechtsvorschriften sind damit gegenstandslos (siehe auch das vollständige Urteil).

 Verfassungsrecht und Gebietsreform
Ein paar Informationen über unser Verfassungsrecht, nach dem das Gericht über die Gebietsreform in M-V geurteilt hat.

Das Grundgesetz
Die zentrale Bestimmung über die kommunale Selbstverwaltung ist Artikel 28 des Grundgesetzes. Danach haben Gemeinden und Kreise „das Recht auf Selbstverwaltung“. Die nähere Ausführung dieses verfassungsgemäßen Rechtes findet sich in den jeweiligen Landesverfassungen.

Die Landesverfassung Mecklenburg-Vorpommern
In der Landesverfassung M-V sind das die Artikel 72 Absatz 1 Satz 2, wonach die Kreise das Recht auf Selbstverwaltung haben. Hinzu kommt Artikel 3 Absatz 2, der sagt „Die Selbstverwaltung in den Gemeinden und Kreisen dient dem Aufbau der Demokratie von unten nach oben.“

Zur Information: Die Landesverfassung Schleswig-Holstein
Den für M-V genannten Bestimmungen entsprechen die Artikel 46 (kommunale Selbstverwaltung) der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein, der Gemeinden und Kreise berechtigt „alle öffentlichen Aufgaben in eigener Verantwortung zu erfüllen“ sowie Artikel 2 Absatz 2, der festlegt, dass das „Volk … durch seine gewählten Vertretungen im Lande, in den Gemeinden und Gemeindeverbänden“ handelt. Die Schleswig-Holsteinische Landesverfassung sagt vom Inhalt her nichts wesentlich anderes als die von M-V, nur ist sie älter und deshalb schwerer verständlich.
Wir kommen ohne diese Zitate aus den Verfassungen bei der Betrachtung der Gebietsreform nicht aus, weil sie der zentrale Wertmaßstab sind, an dem das Urteil in Greifswald die Gebietsreform in M-V gemessen hat.

Wichtig:
Bei der Betrachtung der Gebietsreform in Schleswig-Holstein dürfen wir nicht vergessen, dass es hier (anders als in M-V) noch keinen vom Landtag beschlossenen Gesetzestext gibt, es hier also (noch) zu früh für gerichtliche Schritte ist..

 

DAS GREIFSWALDER URTEIL IM EINZELNEN

Formale Voraussetzungen
Wie bei allen Verfassungsklagen hat das Gericht erst einmal geprüft, ob die Beschwerdeführer überhaupt befugt waren, als Betroffene Verfassungsbeschwerde einzulegen. Die Einrede der Landesregierung, noch sei niemand beschwert, da das Gesetz zur Gebietsreform ja noch nicht in Kraft sei, wischten die Richter vom Tisch mit dem Bemerk, die Kreise könnten „nicht darauf verwiesen werden, Rechtschutz erst dann zu suchen, wenn sie nicht mehr existieren.“ (Seite 31)

Das Gericht bezweifelt nicht die Kompetenz des Landtages für eine Reform des Verwaltungsaufbaues, und die entsprechenden Neuordnungen der Verwaltungsaufgaben (Seite 31). Das Gericht bezweifelt aber sehr wohl, ob sich das Land M-V entsprechend Artikel 72 seiner eigenen Verfassung richtig verhalten hat. (Seite 33)

Notwendige Definitionen
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes bedeutet „kommunale Selbstverwaltung“, dass „die in der örtlichen Gemeinschaft lebendigen Kräfte… sich zu eigenverantwortlichen Erfüllung öffentlicher Aufgaben der engeren Heimat zusammen(schließen) mit dem Ziel, das Wohl der Einwohner zu fördern und die geschichtliche und heimatliche Eigenart zu wahren.
Dabei ist das Leitbild „eine bürgerschaftliche Mitwirkung, die sich auch in einen politischen Gestaltungswillen niederschlägt“. Die Greifswalder Richter: „In den Kreisen bezieht sich der eigenverantwortliche, ehrenamtliche Modus der Aufgabenwahrnehmung auf das Kreisgebiet und seiner Einwohner.“ (Seite 34)

Hierbei definiert das Gericht die unabdingbaren Voraussetzungen für die in der Verfassung garantierte kommunale Selbstverwaltung:
- Bürgerschaftliche Mitwirkung
- Politischer Gestaltungswillen
- Eigenverantwortlichkeit
- Ehrenamtlichkeit
- Handelnd für das (gesamte) Kreisgebiet und seine Einwohner


Der Widerspruch zwischen Wirtschaftlichkeit und Selbstverwaltung
Dabei sehen die Richter „die Wirtschaftlichkeit der Verwaltung und die bürgerschaftlich-demokratische kommunale Selbstverwaltung … in einem Spannungsverhältnis zueinander“. Für diesen Widerspruch hat das Bundesverfassungsgericht klar ausgesprochen, dass die „Teilnahme der örtlichen Bürgerschaft an der Erledigung ihrer öffentlichen Aufgabe“ dem „rationellen und billigen Arbeiten“ einer „zentralistisch organisierten Verwaltung“ auf jeden Fall vorzuziehen ist. (Seite 35)

Dabei kann die „kommunale Selbstverwaltung“ nicht nur durch den Entzug, sondern auch “durch die Übertragung von Aufgaben gefährdet sein.“ Das Gericht sieht hier die Gefahr, dass insbesondere die Kreisverwaltung und Kreistage durch ein Übermaß an übertragenden Verwaltungsaufgaben des Landes einfach keine Zeit mehr für „originäre Selbstverwaltungsangelegenheiten“ aufbringen können. (Seite 35)


Die zwingende Abwägung
Eingriffe in das Gebiet von Kreisen sind danach nur dann verfassungsgemäß, wenn sehr gewichtige Gründe des öffentlichen Wohls vorliegen. (Seite 36) Dabei schließt das öffentliche Wohl die kommunalen Belange und die des Landes gleichberechtigt ein. (Seite 37) Vernachlässigt der Gesetzgeber bei einer Kreisgebietsreform die Berücksichtigung des verfassungsmäßigen Gewichtes der kommunalen Selbstverwaltung, dann leidet seine Entscheidung unter einem „Abwägungsdefizit“ und das Landesverfassungsgericht kann tätig werden.

Diese theoretisch klingenden Aussagen des Gerichtes sind auch für Schleswig-Holstein von höchster Bedeutung, denn sie setzen den verfassungsrechtlichen Rahmen nicht nur für das dann fertige Gesetz, sondern auch für die Entscheidungen von Landesregierung und Landtag, die diesem Gesetz zur Gebietsreform vorausgegangen sind. Nur wenn dieser Entscheidungsprozeß die verfassungsmäßigen Rechte der Kommunen (also auch der Kreise) angemessen berücksichtigt hat, kann ein Gesetz zustande kommen, das den Anforderungen auch unserer Verfassung entspricht.

 

Die Urteilsgründe des Gerichtes

1. Die Gebietsreform für M-V ist schon deshalb verfassungswidrig, weil den verfassungsgemäßen Rechten der Selbstverwaltung der Kreise nur unzureichend Rechnung getragen worden ist. (Seite 42) Das ist schon daraus zu sehen, dass von Anfang an die Flächenfestlegung von Großkreisen (Regionalkreise) unter Einbeziehung der kreisfreien Städte der Ausgangspunkt aller Reformüberlegungen war, der von Landesregierung und Landtag nie verlassen wurde.

2. Bei diesem Vorgehen hat das Land alle bisher von der Rechtsprechung entwickelten Verfahrensschritte für eine verfassungsgemäße Gebietsreform vernachlässigt und dabei „sämtliche Aspekte der kommunalen Selbstverwaltung und damit insbesondere auch ihre partizipatorisch-demokratischen Komponenten“ aus dem Blick verloren. (Seite 44/45)

3. Der Zuschnitt der Kreise folgte praktisch ausschließlich dem Bestreben, bisherige Aufgaben der Landesbehörden in großem Umfang auf die kommunale Ebene zu verlagern. Dabei dominierte der Gedanke, die Kreisgrenzen entsprechend den bisherigen Planungsregionen in M-V auszuformen. Dabei sind grundlegende Unterschiede zwischen den beiden Bereichen vernachlässigt worden. Die Greifswalder Richter: „Die Raumordnung ist Planung, welche die Kommunen übergreift, ihre Adressaten sind Aufgabenträger. Adressaten und Subjekte der kommunalen Selbstverwaltung sind die Bürger“. (Seite 46/47) Dabei wurden Möglichkeiten für eine „schonendere Reform“ nicht erwogen, es wurde einfach unterstellt, dass sich eine Gebietsreform „erst von einer bestimmten Größe ab“ der Kreise überhaupt erst rechnen würde.  Dabei folgte der Gesetzgeber einem Gutachten von Professor Seitz vom April 2005, in dem nur „die ökonomischen und fiskalischen Effekte der Verwaltungsreform in M-V“ dargestellt wurden.

4. Das Gericht verkennt nicht, dass die Bedeutung der Kreise durch die Zuweisung neuer Aufgaben gesteigert wird. Andererseits verringert sich dadurch der eigene Wirkungskreis der Kreise „in gewissem Umfang“, die das Gericht aber noch nicht als bedenklich ansieht. (Dem kann entnommen werden, dass das Landesverfassungsgericht M-V gegen eine Aufgabenerweiterung der bestehenden Kreise keine grundsätzlichen Einwendungen hat).

5. Besonders schwerwiegend ist aber, dass durch „die dargestellte Fixierung des Gesetzgebungsvorhabens auf die Einräumigkeit und Einheit der Verwaltung“ die verfassungsgemäße „bürgerschaftlich-demokratische Dimension der kommunalen Selbstverwaltung“ bei der Gesetzgebung vernachlässigt worden ist. Davon stark negativ betroffen ist das Grundrecht der Bürger, „nachhaltig und zumutbar ehrenamtliche Tätigkeit im Kreistag und seinen Ausschüssen zu entfalten“. Dabei liegt es auf der Hand, dass eine ehrenamtliche Tätigkeit im Kreistag bei einer beträchtlichen Flächenvergrößerung des Kreises „beträchtlich erschwert“ wird. Eine „Professionalisierung der Kreistagsarbeit“ bildet dafür keinen Ersatz, sondern gefährdet eher die Ehrenamtlichkeit der Tätigkeit im Kreistag und in seinen Ausschüssen.

6. Das gilt besonders in „groß dimensionierten Kreisen“, denn Kreistagsabgeordnete sind für alle wichtigen Kreisangelegenheiten zuständig und das beinhaltet, dass sich „Kreistagsmitglieder sich auch über die Verhältnisse in entfernteren Bereichen des jeweiligen Kreises zumutbar eigene Kenntnis verschaffen können“ müssen. Das bedeutet, „die Überschaubarkeit des Gebiets, die ein Wesensmerkmal des Kreises … ist, erscheint jedenfalls bei den größeren der Kreise fraglich. Schon zwischen dortigen Städten ist teilweise deutlich mehr als eine Stunde als Autofahrzeit aufzuwenden. Nochmals gesteigert sind die Entfernungen zwischen den Gemeinden.“ (Seite 54)

7. Der Gesetzgebungsprozess, der zur Gebietsreform geführt hat, zeichnet sich durch einen eklatanten Mangel an Alternativen zum Großkreismodell der Landesregierung aus. Damit habe es eine Prüfung, die „dem Recht der kommunalen Selbstverwaltung“ genügt hätte, nicht gegeben. Besonders in dem von Professor Seitz erstellten „Ökonomisch und fiskalisch orientierten Gutachten ist die bürgerschaftlich-demokratische Dimension der kommunalen Selbstverwaltung ausdrücklich ausgeblendet“. (Seite 59)

Mit den vorgenannten Begründungen erklärte das Landesverfassungsgericht M-V die Paragraphen 72 bis 77 des Gesetzes über die Gebietsreform der Kreise in M-V für verfassungswidrig. Alle damit zusammenhängenden Vorschriften sind damit gegenstandslos. Das Urteil hat Gesetzeskraft. (Seite 63 f.)

 Zur weiteren Information hier noch einige Links:

 Das Urteil im Original

Der Vorschlag der Grünen von 2004

Kostengesichtspunkte